Bauernaufstand im Don- Ural- und Wolgagebiet
unter Stepan Rasin 1667 - 1671

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Karten zum Russischen Bauernkrieg unter Stepan Rasin 1667 - 1671
Ab der Mitte des 17.Jahrhunderts ist ein stetiger Übergang zum Absolutismus in Rußland zu beobachten. Der Dienstadel konnte sich gegenüber den Bojaren in der Zeit der Wirren durchsetzen. Er gewann an Einfluß, den er zielgerichtet für die weitere Verankerung der Leibeigenschaft nutzte. Immer schärfer wirkten die Gesetze zur Niederhaltung der Nahrungsmittelproduzenten. Das 1649 erschienene "Reichsgesetzbuch" ("Sobornoje Uloshenije") formulierte die unauflösliche Fesselung der Bauern an die Scholle und nahm ihnen jede freie Ortswahl. Neun Zehntel aller Bauern waren somit unfrei. (1)
Diese Eingriffe in das soziale Leben auf dem Land führten zur immer größeren Ausdehnung des Grundbesitzes, der sich auch extensiv in die noch freien Weiten Rußlands ausbreitete. Eine Steigerung der Produktivität der landwirtschaftlichen Erzeugung ist nicht nachweisbar, dafür aber die ständige Erhöhung abgeforderter Dienstleistungen und Abgaben. Während Lohnzahlungen in schlechtem Kupfergeld erfolgten, sollten Steuerabgaben in Gold und Silber geleistet werden (Kupferrevolte 1662). Zahlenmäßig immer mehr Leibeigene brachten auch immer mehr Überschüsse, die in den Handel flossen, jedoch nicht zum Nutzen der Bauern sondern zur Befriedigung der Habgier ihrer alten und neuen Grundherren.
Ungefähr hier setzt jener Prozeß ein, der uns das Verständnis für die "rückwärtsgerichtete" Hinwendung der Bauern zum "alten Glauben" näher bringen kann.

Mit den sich erweiternden Handelsverbindungen nach Westeuropa drang auch dessen Ideengut nach Osten. Dieser Handel hatte auf neue Art mit Geld und Gewinn zu tun. Nahezu gleichzeitig verbanden sich in Westeuropa unglaubliche Bereicherungsorgien mit religiösem Werteverfall - man denke an den Dreißigjährigen Krieg und seine Auswirkungen in Deutschland. Auf solche Berichte aus dem Westen reagierten die religiösen Kräfte der orthodoxen Kirche nicht mit protestantischen Erneuerungen sondern umgekehrt mit besonderem Festhalten an orthodoxe Positionen. Allerdings verfolgten sogenannte Glaubenseiferer (rewniteli blagotschestija) durchaus Reformgedanken nicht unähnlich den Cluniazensern in Frankreich.(2) Gleichzeitig sah sich die russische Kirche gefährdet von der katholischen Gegenreformation in Polen.
Hier liegt eine Wurzel für die Kirchenspaltung (Raskol) und die Altgläubigenbewegung der raskolniki.
So predigte der Pope Awwakum leidenschaftlich russische Tugenden im Gegensatz zu westlicher Schläue (heute im Sinne von Cleverness). Dieser Mann, ursprünglich ein Bauer, kam aus dem Wolga-Gebiet.
Eine ähnliche Persönlichkeit, auch aus dem Gebiet Wolga, war der mordwinische Mönch Nikon, der 1652 zum Patriarchen avancierte. 1654 während der Zaren-Abwesenheit als Stellvertreter bestellt, soll er dem Papst Gregor VII. geglichen haben. Er ermunterte Bogdan Chmelnizki, im Namen der Orthodoxie gegen Polen zu rebellieren, suchte enge Verbindung mit orientalischen Patriarchen und glaubte fest daran, das Moskau das Dritte Rom ist und ein christliches Weltreich schaffen wird. Hartnäckig widersetzte er sich den Eingriffen weltlicher Gerichte, und soll im Alter wieder Mönch geworden sein.

Soziale Spannungen offenbarten sich, wie oft in Bauernkriegen als liturgische Streitfragen. Von kirchlichen Amtsinhabern oft unsinnig aufgebläht, man denke an die Kelch-Problematik der Hussiten (3), ließen diese Streitfragen Polarisierungen zu. So wurden die Altgläubigen zum Sammelbecken der Unzufriedenen und Besitzlosen. Dazu gehörten auch diejenigen, die sich der Zementierung der Leibeigenschaft widersetzten oder die ihre bisherige Freiheit nicht verlieren wollten, nicht zuletzt jene Kosaken, die sogar in der Lage waren, ihre Freiheit auch mit Waffen verteidigen zu können.
Es zählten dazu Gemeinden, die ihre Selbstverwaltung nicht aus der Hand gaben und Kirchspiele, denen das Konzil von 1666 das Recht beschnitten hatte, ihren eigenen Popen zu wählen!

Schiff Stepan Rasins

Schiff Stepan Rasins (8)

Wie in fast allen europäischen Bauernkriegen können wir auch in Rußland das Aufkommen einer apokalyptischen Stimmung in der gesamten Gesellschaft feststellen, in diesem Fall insbesondere im Wolgabecken und im Norden des Reiches, beispielsweise in Predigten des Eremiten Kapiton. Im Unterschied zu Westeuropa lautete hier die religiöse Logik folgendermaßen: Wenn das Dritte Rom unterginge, käme nur noch das Reich des Antichristen, weil feststand, das es kein Viertes Rom geben würde!
Von diesen Stimmungen getragen, brachen in den letzten Jahrzehnten des 17.Jahrhunderts zahlreiche lokale Aufstände aus. Es gab Massenselbstmorde in Gemeinden, die sich vor dem Jüngsten Gericht nicht mit Teufelszeug beschmutzen wollten. Die Menschen verbarrikadierten sich vor staatlichen Beamten und Truppen in ihren Holzkirchen und verbrannten sich selbst darin!(4)
Viele Altgläubige flohen in den Süden, in den Südosten oder in in das Don-Gebiet. Dort errichteten sie freie Siedlungen (die Flucht unfreier Menschen in ihrer Sehnsucht nach Arbeit in Freiheit ist bereits in jenem Jahrhundert eine weltweite Erscheinung). Diese Bauern, Kosaken genannt, waren nicht bereit, sich den zaristischen Anordnungen zu unterwerfen und lieferten sich Gefechte mit zarentreuen Regimentern, die die Interessen der adligen Gutsbesitzer wieder durchsetzen sollten. Anfangs wurden nur kleine Gefechte gegen eine Wiederauslieferung der Leibeigenen an die ehemaligen "Besitzer" geführt. Aber sechzig Jahre nach dem ersten großen Bauernaufstand hatte sich soviel Zünsdstoff angehäuft, das dem Aufruf des Kosakenführer Rasin, alle Bojaren und Gutsbesitzer umzubringen, tausende Leibeigene und Bauern sofort folgten. Rasin sammelte 1667 die Unzufriedenen um sich und zog mit ihnen die Wolga entlang, nahm mit seinem Heer die Stadt Zarizyn ein und besetzte Astrachan.
Zaristische Beamte, Adlige, reiche Kaufleute und besonders brutale Ausbeuter wurden einfach erschlagen, Urkunden der Leibeigenschaft vernichtet und die Bauern von Abgaben befreit.
Aber die Revolte war eher ziellos und nur von Wut und Haß geleitet. Landlose und Arme aus den Völkern der Tschuwaschen, der Tataren, der Baschkiren, der Mordwinen und der Mari schlossen sich den russischen Bauern an.
Diese, unterschiedliche Sprachen sprechende Kampfverbände der Bauern fochten tapfer im gemeinsamen Kampf gegen den Adel, solange die Kampfgebiete in Nähe ihrer Heimat lagen. Oft kehrten die Aufständischen nach ihrem Sieg in die Dörfer zurück. Doch ständig schlossen sich in anderen Gebieten neue Aufständische an.

Stepan Rasin auf dem Weg zur Hinrichtung

Stepan Rasin wird mit seinem Bruder auf einen Karren gefesselt zur Hinrichtung gefahren 1671   (5)

Nach weiten Feldzügen, die über das Kaspische Meer bis an die persische Küste führten, wurde die Erhebung 1771 niedergeschlagen. Stepan Rasin, durch Verrat an den Zaren ausgeliefert, wurde am 16.6. 1671 in Moskau gevierteilt.(6) Tausende der aufständischen Bauern ließen die Adligen von ihren Schergen zu Tode peitschen. (7)

Da die Ausdehnung der Leibeigenschaft mit der Ausdehnung der zaristischen Herrschaftsgebiete einherging, blieben die sozialen Widersprüche ungelöst. So zeigte sich nach Niederschlagung der Freischar Rasins in den Gebieten noch lange Ungehorsam . Bis zur nächsten großen kriegerischen Freiheits-Bewegung der Bauern sollte jedoch noch fast ein Menschenalter vergehen.
Zeittafel
1648 Salzaufstand in Moskau Durch eine Salzsteuer stieg der Salzpreis auf das Dreifache.
1662 Kupferrevolte in Moskau Kriege mit dem Ausland zerrütten die eigene Wirtschaft. Aus Silbermangel wurden Kupfermünzen in Umlauf gebracht, deren Wert auf 1/15 fiel. Steuern waren in Silber zu zahlen, Löhne wurden in Kupfer gezahlt. Extremer Anstieg der Brotpreise trotz guter Ernten.
I. Periode des Aufstands unter Rasin - der Beutezug
ab 1667 Seit Jahren versuchen geflohene Leibeigene, Verbannte und Landarme (golypta = Kosakenarmut) sich am Don niederzulassen und eigene Dörfer zu bilden. Dagegen beanspruchen vom Zar mit Gnadenbriefen ausgestattete Landbesitzer diese Gebiete und ansässige Kosaken verfolgen gegen Bezahlung geflohene Leibeigene zur Rückgabe oder zum Verkauf in die Sklaverei. Es herrscht akkuter Brotmangel.
Um dem zu entgehen gehen arme Donkosaken auf Raubzüge in Richtung Wolgagebiet und Kaspisches Meer. Eine Abteilung führt dabei der Ataman Stepan Timofejewitsch Rasin. Die bemächtigt sich großer Schiffe, befreit dabei Kettenhäftlinge und Sklaven. Anschließend erobert dieser Verband die befestigte Stadt Jaizki Gorodok am Fluß Jaik. Es werden wieder Sklaven befreit, die sich dem wortgewaltigen Rasin anschließen. Haupziele der Bewegung sind in dieser Etappe jedoch Plünderungen.
1668/69 Fahrt übers Kaspische Meer. Plünderungen entlang der West- und Südküste. Die mehrere Tausend Mann starke Abteilung besetzt Persische Orte. Rasin sendet Boten an den Schah mit der Bitte, sich mit seinen Leuten ansiedeln zu dürfen. Der persische Schah läßt im Einvernehmen mit dem russischen Zaren die Gesandten Rasins töten. Rasins Leute plündern und zerstören daraufhin persische Städte. Die persische Flotte verliert die Seeschlacht. Die Kosaken können sich jedoch an der Küste nicht halten, haben starke Verluste, die Überlebenden sind Seuchen ausgeliefert.
II. Periode des Aufstands unter Rasin - der große Bauernkrieg
1670 Rückkehr an die Wolga - der Charakter des Feldzuges der Aufständischen ändert sich. Eroberung Astrachans und Zarizyns. Befreiung von Leibeigenen. Strelitzen wollen nicht gegen die Aufständischen kämpfen, öffnen ihnen die Tore von Saratow und Samara.
Schlacht bei Simbirsk. Rasins schlecht bewaffnete Truppen werden von zaristischen Elite-Regimentern und ausländischen Söldnern geschlagen. Rasin flieht verwundet in Richtung Don.
1671 Trotz der Niederlage weiten sich die Aufstandsgebiete aus: aufwärts der Wolga bis Kasan und Nishni Nowgorod, rechts der Wolga bis zur Oka.
Eine Abteilung Aufständischer unter Michail Charitonow erobert Korsun, Saransk und Pensa.
Am Oberlauf des Don weitet sich der Aufstand unter Rasins Bruder Frol auf die Südukraine aus. Die Wojewodenherrschaften und die Sklaverei/Leibeigenschaften werden beseitigt, die Städte erhalten Selbstverwaltungen.
Die Aufständischen sind Zarenanhänger, kämpfen für einen guten Zaren, glauben, das mit ihnen der Zarewitsch Alexei zieht (zu dieser Zeit nicht mehr am Leben). Rasin selbst hoffte auf die Unterstützung des Zaren gegen die Bojaren.

Die Aufständischen werden noch einmal bei Simbirsk geschlagen. Zersplitterte Bauernabteilungen werden eingeschlossen, die Gefangenen gefoltert und hingerichtet. Ausländische Augenzeugen berichten, das in der Stadt Arsamas in drei Monaten elftausend Menschen hingerichtet wurden.(10) Rasin wird am Don in Kagalnik von reichen Kosaken gefangen, nach Moskau gebracht und dort gevierteilt.


Namen und Persönlichkeiten

Atamanin Alena (auch: Oljona) Name einer verwitweten Bäuerin, die im Heer Stepan Rasins eine Abteilung von 600 Kämpfern befehligte. Sie leistete bis Dezember 1670 erbittersten Widerstand gegen die Zarentruppen.
Alena hatte nach dem Tod ihres Mannes in einem Kloster Lesen und Schreiben gelernt und die Kräuterheilkunde studiert. Nach ihrer Gefangennahme wurde sie verhört und 1671 als Hexe verbrannt. (9)
Bojarin Feodosija Morozowa streng altgläubige Adlige, die heimlich zur Nonne wurde, eine Wirtschaft selbständig leitete und sich um die Armen in Moskau kümmerte. Sie wurde 1671 verhaftet und 1675 mußte sie zur Strafe in einem Erdloch eingegraben verhungern. (9)
Wassili Surikow wurde 1887 mit dem Gemälde Die Bojarin Morozowa berühmt.
Wassili Us Kosakenataman, sammelte ebenfalls leibeigene Bauern in seiner Abteilung, unterstützte die Aufständischen Rasins (Tula). Konnte sich noch längere Zeit am Unterlauf der Wolga halten.
Fjodor Scheludjak Kampfgefährte Rasins, stieß im Sommer 1671 noch einmal bis Simbirsk vor.
Frol Rasin Bruder Rasins, kämpfte mit seiner Abteilung in der Slobodsker Ukraine, wurde mit Stepan Rasin gemeinsam in Moskau 1671 hingerichtet.
Michail Charitonow auftändischer Ataman (?), seine Abteilung eroberte Korsun, Saransk und Pensa.(11)






Literatur- und Quellenangaben  •  Bildnachweise  •  Links
(1) Hrg. Prof.Dr.Markov, Prof.Dr.Anderle, Prof.Dr.Werner
Kleine Enzyklopädie Weltgeschichte Bd.2
VEB Bibliographisches Institut
Leipzig 1979
S. 366
(2) Geoffrey Hosking
Russland
Nation und Imperium 1552 - 1917
Siedler Verlag Berlin 2000
S.97 ff.
(3) M. Lambert, Ketzerei im Mittelalter
Häresien von Bogumil bis Hus
Bechtermünz / Augsburg / 2002 S.434 ff.
(4) Geoffrey Hosking
Russland
Nation und Imperium 1552 - 1917
Siedler Verlag Berlin 2000
S.101
(5) Prof.Dr.Markov, Prof.Dr.Anderle, Prof.Dr.Werner
Kleine Enzyklopädie Weltgeschichte
VEB Bibliographisches Institut
Leipzig 1964
S. 816 ff.
(6) ebenda S. 782
(7) Lehrbuch für den Geschichtsunterricht
Volk und Wissen Volkseigener Verlag
Berlin 1952
S. 338
(8) Erich Donnert
Altrussisches Kulturlexikon
VEB Bibliographisches Institut
Leipzig 1985 S.322
Hinweis: Bild stammt aus Johann Janszen Struys Reisebericht von 1676 / östliche Literatur (russs.)
(9) Heiko Haumann
Geschichte Russlands
Piper München Zürich 1996
S.213-215
ISBN 3-492-03192-7
(10) Alexei Pawlowitsch Tschapygin (1870-1937)
Stepan Rasin
Verlag Kultur und Fortschritt  ◊  Berlin 1956
(Nachwort von Alexander Baer S.802)
(11) J.M.Shukow, J.J.Sutis, O.L.Weinstein, N.I.Pawlenko, W.F.Semjonow u.a.
Weltgeschichte in zehn Bänden    Band 5
VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1966    S.180
(12) Hintergrundbild: elektron. Grafikbearb. H.Lo.
nach einer Vorlage von S. Beyer-Havernick aus (10)
Stenka Rasin in Wikipedia


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Notizen über russische Bauernkriege • begonnen: 27.November 2007 • letzte Änderung: 9. März 2017 • Hans Holger Lorenz • III WBTo