Thomas Müntzer an verfolgte Anhänger in Sangerhausen

geschrieben zwischen 15. und 22. Juli 1524

››... Weiß man doch wohl, und ist zu bewehren mit der heiligen Biblien,
daß Herrn und Fursten, wie sie itzet sich stellen, keine Christen sind....‹‹

Allen geliebeten Brüdern in Christo des tyrannischen Gefengnis zu Sangerhausen Gnad und Fried mit der reinen, ungedichten Furcht Gotts anstatt meines Grußes! Es hat Jesus Christus, der zarte Sohn Gotts, mit klaren Worten gesaget, und seine geliebten Aposteln und Freunde mit betrubten Worten in der heiligen Mahlzeit seines Abendessens zuvorn gesaget alle Gelegenheit, wie es sich begeben sollt, wie sich die wollustige Welt samt den Wutrichen wurde stellen, so die auserwehlten Menschen wurden den gekreuzigiten Christum anfahn zu erkennen und zum rechten Glauben zu greifen. Und sprach also (Johannis am 16.): "Ihr sollt euch nicht doran ergern, dann die Gottlosen werden euch aus der Gemein vorstoßen, und kummt die Stunde, daß sie sich werden dunken lassen, wenn sie euch wurgen, sie haben Gott einen Dienst doran getan." Diese Wort sollt ihr wohl beherzigen und in euers Herzen Grund schließen, nachdem sich itzt die fehrliche Zeit, dovon der heilige Paulus gesaget hat, begiebt, daß ein itzlicher, der do gerne recht tet und sich zum heiligen Evangelio neigen wollt, muß vor den Gottlosen ein Ketzer, ein Schalk und Bube, oder wie sie es erdenken mugen, gehalten werden. Nu ich aber durch etliche fromme Menschen vorstendiget bin, wie ihr aufs hochste betrubet seid und doch angelobet den tollen, wahnsinnigen Menschen und Tyrannen, euch wieder einzustellen ins Gefengnis, und dorzu meins Rats zu brauchen begehrt, kann ich euch aus christlicher Pflicht nit wegern, aber ihr musset euch auch desselbigen halten. Nachdem aber ihr gerne wollet euer Gewissen bewahrn, so ist das ein Anfang darzu, daß ihr die reine, rechtschaffene Forcht Gotts vor euch nehmet und lernet Gott allein uber alle Kreaturen in Himmel und auf Erden furchten. Und aus der Furcht werdet ihr wissen und lernen, was ihr tuen und lassen sollet, das Gott wohl gefellet. Dann ein Anfang der Weisheit Gotts ist die Forcht Gotts, als im hunderten und 10. Psalmen der Geist Gotts saget und im Buch der Beispruch am 1. Kap. Darum sollet ihr Tag und Nacht mit ganzem Herzen seufzen zu Gott und schreien und bitten, daß er euch lerne alleine Gott forchten. Dann so ihr dieselbige reine Gottesfurchte nit habet, so werdet ihr in keiner Anfechtung mugen bestehen. Habt ihr aber dieselbige, so werdet ihr vor allen Tyrannen den Sieg behalten, und sie werden so jemmerlich zuschanden, daß nit zu sagen ist. Nu lehret aber die Furcht Gotts, wie ein frommer Mensch soll gelassen stehen um Gotts willen und sich erwegen seins Leibs, Guts, Haus und Hof, Kinder und Weiber, Vater und Mutter samt der ganzen Welt. Oh, das ist aber ein mechtiger Greuel den fleischlichen Menschen, die ihr Leben lang alle ihr Vornunft dorauf erstreckt han, daß sie mochten Nahrung erwerben, und nicht weiter gedacht. Haben gemeint, Gott wurde sie doch wohl selig machen, wann sie schlechtes gleubten, was ein ander gleubet. So toll und töricht ist itzt die ganze Welt, und will niemand gelassen stahn um Gotts willen, so doch der Herre klerlich saget im heiligen Evangelio (Matt, am 10.): "Wer do etwas uber mich liebet, der ist meiner nicht wirdig." Doselbst spricht Christus, der Sohn Gotts, die rechte Art des Glaubens aufs hochste aus. Sollt ihr nu Christen sein und gleuben in Christum Jesum, daß er euch erloset hab, so mußt ihr an der reinen Forcht Gotts anheben, dann sie ist ein Anfang zum Glauben, wie oben berührt. Summa summarum neben Gott mußt ihr nichts forchten, gleich so wenig als neben dem lebendigen Gott ein Abgott soll angebeten werden. Do muß kein Entschuldigung sein, sonder die stracke Bahne nausen gegangen. Wenn euch euer Furst oder sein Befehlshaber gebeut, ihr sollet hie oder dohin nit gehen, zu hören das Wort Gotts, oder vorloben, nicht mehr dohin zu gehen, sollt ihr keinerlei Weise vorloben, dann alsdo wird Menschenforcht an die Statt der Furcht Gotts dargestellet und euch zum Abgott aufgericht. Wollet ihr nun denken, was ihr wollet wohltun eurem Fursten und Gott, das werdet ihr nicht mugen tuen, dann alles, was sich neben Gott auflehnet und will gefurchtet sein, das ist gewiß der Teufel selber. Do habt Achtung auf! Wann nun die Wutrichte wollen vorgeben, ihr sollet euern Fursten und Herren gehorsam sein, so habt ihr zu antworten: Ein Furst und Landesherre ist über zeitliche Guter dargestellt zu regieren, und sein Gewalt erstreckt sich auch nicht weiter, und das ist auch die Meinung Sankt Peters und Pauls, do sie von der Gewalt der Menschen schreiben. Darum sollet ihr euch keck erbieten und sagen: Lieber Herre, lieber Herr Hauptmann, so unser Herr, der Furst, am selbigen Schoß und Zinsen, die wir ihm jehrlich gebn, nicht genug hat, so nehm er all unser Guter dazu, das wollen wir ihm gerne gestendig sein; aber unser Seelen soll er gar nicht regieren, dann in den Sachen muß man Gott meher gehorsam sein dann den Menschen; do macht aus, was ihr wollet! Tut ihr uns etwas daruber zu Leide, so wollen wir das der ganzen Welt klagen und zu erkennen geben, so wird sie doch sehen und horen, warum wir leiden, wollen wir doch an zeitlichen Dingen tuen und lassen alles, was euern Augen wohl gefellet. Was sollen wir doch meher tuen?

Also, allerliebsten Bruder, sollt ihr euch, wo ihr gefordert werdet, wieder instellen ins Gefengnis oder Gehorsam, und bleibet bei diesen Worten. Wollen sie euch aber um Geld büßen, so gebet dem Teufel ummer hin, was er haben will, allein behalt euer Gewissen frei und ledig und laßt euch dasselbige mit tyrannischem Gebot nit vorstricken, dann das hat Christus, unser Herre, auch gemeint Math, am 10.: "Furchtet die nicht, die euch den Leib toten, dann alsdann haben sie nit meher, das sie tuen mugen, sonder ich will euch anzeigen, wen ihr forchten sollet: Forchtet den, der die Gewalt hat; wenn er den Leib hat getötet, so hat er auch die Macht, die Seele ins hellische Feuer zu stoßen. Den, den sollt ihr forchten!" Derhalben laßt die Tyrannen eine kleine Weile ihren Mutwillen an euch uben, dann die Welt hat nicht ander Herrn und Fursten vordienet mit ihrem Unglauben. Darum so laßt sie euch plagen, solange es ihnen Gott gonnen will und bis ihr euer Schuld erkennet. Dann die ganze Christenheit wirdet daruber zu einer Huren, daß sie die Menschen anbetet. Und ist ein Anbeterei der Menschen, das sieht man itzet klerlich, wie sich die Menschen vor Herren und Fursten furchten, daß sie mussen um der schendlichen Nahrung willen und ums Bauch willen Gotts Worts und seinen heiligen Namen aufs hochste vorleugnen, ja, daß sie auch der heilige Paulus zun Philippern "Tier des Bauchs" nennet und spricht, daß der Bauch ihr Gott sei. O sehet zu, allerliebsten Bruder, daß ihr nicht auch aus demselbigen Haufen seid oder werdet. Der Teufel ist gar ein listiger Schalk und leget dem Menschen stets die Nahrung und das Leben vor Augen, dann er weiß, daß fleischliche Menschen das liebhaben. Darum mussen sie um deswillen Gotts verleugnen. Ist es nit ein grausamer, schendlicher Unglaube? Ja, so ihr nicht gleubet, daß Gott so gewaltig sei, wenn ihr euer Guts und Leibsnahrung samt euerm Leben um Gotts willen woget oder vorlasset, daß er euch andere Nahrung geben mag und meher dann vorhin, wie wollt ihr dann glauben, daß er euch das ewig Leben geben kann? Es ist ein rechter Kinderglaub, Gott die Nahrung zu vortrauen; aber das ewig Leben zu geben vortrauen, ist ein ubernaturlicher Glaub, uber alle Vornunft des Menschen. Wollt ihr nu im kleinen ungleubig sein, wie soll euch dann Gott das Große befehlen ?

Darum vormahne ich euch, lieben Bruder, sehet an das Ebenbilde aller auserwehlten Freunde Gotts, wie sich sie zur Zeit der Anfechtung gestellet haben. Habt ihr nu euer Guter lieb, so sehet an den heiligen Freund Gotts, den lieben Job, wie gelassen er ist gewesen (als am 1. Kap. seines Buchs geschrieben steht), daß er frohlich sagete, do die Boten kamen und vorkundigeten ihm, daß alle seine Kinder mit allen seinen Gutern weren umkommen. Do hat er mit Gelassenheit geantwort: "Der Herre hat mirs gegeben, der Herre hat mirs auch genommen."

Forcht ihr dann das Leben, so sehet an das Ebenbilde der heiligen Merterer, wie geringe sie ihr Leben geschatzet haben und die Tyrannen in die Zähne vorspottet. Nu hat euch Gott der Allmechtige ja so lieb, als er den lieben Job mit allen heiligen Merterern gehabt hat, dann er hat euch mit dem Blut seines zarten Sohns Jesu Christi gleich so teuer gekauft. Er will euch auch seinen Heiligen Geist so mildiglich mitteilen, wie er ihnen getan hat. Was wollt ihr dann vorzagen? Dann ich sage euch vorwahre, es ist die Zeit vorhanden, daß ein Blutvorgießen über die vorstockte Welt soll ergehen um ihres Unglaubens willen. Do werden dann einem itzlichen seine Guter, die er vorhin um Gottes willen nicht hat wollen wagen, genommen werden um des Teufels willen ohn seinen Dank, das weiß ich vorwahr! Was wollt ihr euch lange lassen mit der Nasen umfuhren? Weiß man doch wohl, und ist zu bewehren mit der heiligen Biblien, daß Herrn und Fursten, wie sie itzet sich stellen, keine Christen sind. So beten euer Pfaffen und Monche den Teufel an und seind noch weniger Christen. So seind alle euer Prediger Heuchler und Anbeter der Menschen. Was wollt ihr dann lange hoffen? Es wird do bei den Fursten wenig Hoffnung sein. Wer denn nu wider die Türken fechten will, der darf nit fern ziehen: Er ist im Lande! Aber tut ihm also, wie ich euch oben angezeiget habe; macht es also, daß ihr Schuld und Ursach zu ihnen haben muget und nicht sie wider euch! Und saget ihnen frei in ihr Angesicht: Lieber Herr, Sankt Paulus lehret und spricht, das Wort Gotts sei frei und unvorbunden, warum wollet Ihr uns das wehren zu horen? Habet Ihr doch vorhin nicht gewehret, do ein jedermann zu Sankt Jakob und zum Teufel gen Heckenbach hat gelaufen, Witwen und Waisen gemacht, Gut und Geld aus dem Lande getragen? Wollt Ihr uns dann nu wehren, den Weg zu gehn, wo uns vonnoten ist, wollt Ihr uns nit statten, daß wir rechte Prediger haben mugen und wollt uns andere auch vorbieten zu hören? Wenn Ihr des wollt so will ich Euch für einen Turken halten und nicht ein christlichen Fursten und Herrn! Das saget ihn frei ungeheuchelt! Ihr werdet stehen, wo ihr allein Gott forchtet und nicht heucheln werdet. Geschieht euch was zu Leide, so wird er euch beistehen und die Rache tun. Werdet ihr aber heucheln, so wirdet euch Gott also ängesten, daß ihr nummer zur Wahrheit kommen werdet und ein großen Schaden euer Seligkeit doran uberkommen. Dann Gott kann seine Auserwehlten nicht vorlassen, ob er sich wohl zu Zeiten also stellet; aber er tuet die Rache zu rechter Zeit.

Solchs hab ich euch aus christlicher Pflicht nicht wollen vorhalten, Gott zu Ehren und Lobe, der euer Gemüt bewahre im bestendigisten Glauben. Die Gnad unsers Herren Jesu Christi sei mit euch allen. Amen.
Gegeben zu Alstedt mit Eilen. 1524.

aus: DOKUMENTE AUS DEM DEUTSCHEN BAUERNKRIEG
Beschwerden Programme Theoretische Schriften
Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1974
Printed in German Democratic Republic (DDR) 1974
Seite 159 - 164

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Notizen zum Text:


Münzer ist zu dieser Zeit Prediger in Allstedt. Etwa dreißig Jahre alt, arbeitet er intensiv an der neuen Form des Gottesdienstes in deutscher Sprache. Er hält die Predigten in der Sprache der Bauern, der Bürger und der Bergknappen und sie danken ihm in einem Zustrom als Hörer, bisweilen sind es über zweitausend an Zahl, die die Kirche in Allstedt nicht fassen kann. Die Leute strömen aus Eisleben, Mansfeld, Sangerhausen, Frankenhausen, Querfurt, Halle, Aschersleben und sonst woher herbei in die kleine gerade über hundert Haushalte zählende Gemeinde, nur um den Müntzer zu hören. Dabei ist der noch nicht einmal ein guter Redner, erreicht die Gewaltigkeit eines Luthers nicht annähernd. Ihm fehlt es an der "Sonnenhelle" in seinen Gedanken, die lohdernd voll Zorn auf die Ungerechtigkeit dieser Welt sind. Den Füersten hat er es schon gepredigt, aber die haben nicht begriffen, das die Herren es selber machen, ›› das ihnen der arme Mann feind wird! ‹‹. Die Klarheit seiner Sprache wird sich noch ausbilden und erst im letzten Gefecht ihre schönste und mutigste Vollendung finden.
Hier aber predigt er seinen Leuten. Gerade weil es so viele werden, überkommt Grafen und Rittern eine Unruhe und sie wollen in Sangerhausen die Anhänger der Gläubigen des Evangeliums ins Gefängnis werfen. Diese haben sich der Gefangennahme entzogen, stehen auf verlorenem Posten und sie sehen ihr geringess Hab und Gut in Gefahr.
An diese Verfolgten wendet sich also Müntzer, er ist einer der Wenigen, die offenbar mehr darüber wissen, was kommen wird:  ››...es ist die Zeit vorhanden, daß ein Blutvorgießen über die vorstockte Welt soll ergehen um ihres Unglaubens willen...‹‹
Aber Müntzer spielt hier nicht die Rolle eines religiösen Geistersehers. Er analysiert die Verhältnisse und hat eher als andere die völlig gegensätzlich gerichteten Interessen zwischen den Herrschenden und den Beherrschten erkannt. Diese Gegensätze sind so groß geworden, das sie sich nicht mehr ohne opferreichen Kampf ausgleichen lassen. Die Habgier der Fürtsten ist so teuflisch gewachsen, das man sie nicht mehr einfach abtun kann, schlimmer noch ist ihre Verbrähmung mit christlichen Werten, die damit verfälscht und verleugnet werden:

››" ... Weiß man doch wohl, und ist zu bewehren mit der heiligen Biblien,
daß Herrn und Fursten, wie sie itzet sich stellen, keine Christen sind...."‹‹

Die wirklich Gottlosen, nicht die mohamedansischen Türken irgendwo da draußen, die wirklichen Gottlosen stehen im eigenen Land - es sind die eigenen Herren, die keine Ehrfurcht vor Gott mehr kennen. Sie haben die wahren christlichen Werte verraten, sie wollen, das das Fleischliche, das Niedere der Menschen, angebetet wird. Sie predigen die Habsucht, das "Tier im Bauche".

Müntzer macht seinen Getreuen keine Illusionen, er beschreibt, was auf sie, die Auserwählten zukommen wird:
Verfolgung und Leiden, Verketzerung und Tod. All das werden die Herren den wirklich Gläubigen antun, und nur wer in Gottesfurcht, also in Vertrauen auf die Sache Gottes steht, und wer mit der erforderlichen Gelassenheit die Kämpfe erwartet, wird sie bestehen. Eine bedingungslose Hingabe an den Kampf wird andere Motive haben als nur Besitz auf Hab und Gut. Müntzer will keine Lüge vor Gott dulden. Und er geht soweit, den gefährdeten Mitbrüdern Trost mit der Frage zu spenden, was all das Hab und Gut nützen soll, wenn es so nicht mehr zu schützen ist. Die kleinen Leute haben nichts mehr zu verlieren, sollen sie den Fürsten sagen, nehmt das letzte auch noch - denn wir haben die Gerechtigkeit Gottes auf unserer Seite. Insofern ist die Predigt noch nichts Neues - denn den Verzicht auf irdische Güter predigt die offizielle Kirche auch! Neu ist, das er sagt: die Rache kommt zur rechten Zeit!

Zur gleichen Zeit erstürmten süddeutsche Bauern das Kloster in Ittingen ...







Dokumente aus dem Grossen Deutschen Bauernkrieg

Die 12 Artikel Die Bundesordnung Münzers Feldpredigt Wendel Hiplers Instruktion Tiroler Landesordnung März Thomas Müntzer und Michael Gaismair Zeittafel Deutscher Bauernkrieg
Bauern schreiben an den Amtmann Hansen Metzsch Ottile Münzer Schreiben der acht Witwen
deren Männer hingerichtet wurden
Strafgeldregister aus dem Jahre 1525


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Notizen zum Deutschen Bauernkrieg / Hans Holger Lorenz / beg. 25.05.2009 / 07.05.2015 / WB-To I